Ausstellung „Eine Stadt wird bunt“: Graffiti-Geschichte in Hamburg

Liebe Freundinnen von Welt,

erinnert Ihre Euch an die Anfänge des HipHop in Deutschland? Wie neu die Musik klang, wie seltsam es aussah, was der DJ da mit den Schallplatten machte? Wie wir vor dem Fernseher versuchten, mit Eisi Gulp Breakdance zu lernen? Und wie immer mehr bunte Schriftzüge an Hauswänden und auf S-Bahnen auftauchten? In Hamburg gibt es dazu eine Ausstellung im Museum für Hamburgische Geschichte: Eine Stadt wird bunt. Hamburg Graffiti History 1980-1999, bis zum 7. Januar 2024. Ich war bei der Kuratorenführung (immer donnerstags) und bin tief in die Vergangenheit der Stadt eingetaucht – und in meine eigene Jugend.

Seid Ihr bereit für eine kleine Zeitreise in die wilden 80er, noch vor der Digitalisierung?

Eure Kirsten, Freundin von Welt

Die Geschichte der Dosenkavaliere

Kuratorenführung durch die Ausstellung „Eine Stadt wird bunt“ mit Oliver „Davis“ Nebel

„Netzwerke hatten wir schon damals.“ Oliver „Davis“ Nebel – Künstler, freier Grafiker, Sprüher der frühen Stunde und einer der vier Kuratoren der Ausstellung „Eine Stadt wird bunt“ – zeigt auf den wandfüllenden Plan am Eingang. All die Punkte, an denen sich die Graffiti-Szene damals in Hamburg traf, sind dort eingezeichnet. Der Jungfernstieg, aber auch Tapeten Hesse in Langenhorn.

Die Sprüche, die in den 1980ern die Wände in Hamburg zierten, waren der Anfang. Aber da gibt es einen großen Unterschied zu Graffiti: „Wir schreiben unseren Namen“, so der Kurator.

Probleme? Ab in die Hafenstraße

Aber, wie gesagt: HipHop war mehr. Die soziale Komponente: Gab es Streit, wurde der in Battles geklärt.  So war das in den USA.

In Hamburg gab es einen Typen in der Hafenstraße, der kochte gutes Essen und zu dem konnte man gehen, wenn es Probleme gab: Sprüher Eric machte die selbstverwaltete Kneipe Ahoi von 1993 bis etwa 1996 zum wöchentlichen Treffpunkt für die Graffiti-Szene. Jeden Donnerstag sitzt man hier zusammen, hört Hip-Hop, trinkt Bier und zeichnet Skizzen. Das Ahoi wird zum zentralen Anlaufpunkt der wachsenden Szene.

Und Probleme gab es oft. Als „urban art“ galt Grafitti in den frühen 80ern noch lange nicht. Die Stadtoberen waren genervt, eine „Soko Graffiti“ wurde gegründet. Den Sprühern drohten hohe Geldstrafen. Gleichzeitig veränderte sich die Stadt.

„Es wurde viel gebaut, das waren alles Leinwände für uns“, erinnert sich Davis. „Jetzt hängt dort überall Werbung.“ Und dann fuhren da ja noch diese verlockenden Züge, mit denen die gesprühten Werke mobil wurden.

Ein Problem waren die Mittel, das Werkzeug. Sprühdosen waren teuer, die Farbauswahl mager und die Sprühköpfe ungeeignet. Da musste man kreativ werden. „Es gab da ein bestimmtes Ellen-Betrix-Parfum“, erinnert sich Davis. „Das hatte einen Cap, der eine schön saubere Linie machte.“ So etwas sprach sich herum. In den Drogerien fiel schnell auf, dass just bei diesen Parfumflaschen plötzlich die Sprühköpfe fehlten.

Tapeten-Hesse in Langenhorn entdeckte die Marktlücke, verkaufte Dosen mit den passenden Caps zu Sonderpreisen an Sprüher.

„Wichtig war, das Werk auf einem Foto zu haben.“ Auf einem analog geknipsten Bild. Schnell mit dem Film zu 1000 Töpfe, entwickeln lassen, hoffen, dass die Bilder was geworden sind, sonst sofort noch mal los.

OZ, eine Legende der Straßenkunst

In der Ausstellung wird auch Walter Josef Fischer alias OZ geehrt, diese Legende der Straßenkunst, „Großvater des Graffiti“. Er hat in Hamburg weit über 100.000 Zeichen hinterlassen. Smileys. Kringel. Kleine Wirbelstürme. „Ich will Vielfalt statt einfältig, grau und monoton. Wenn man nicht kontert, dann ist es nur noch grau. Ich mag halt lieber die Wände bunt anstatt wehrmachtsgrau. Das ist auch mein Antrieb,“ hat er gesagt. Je mehr Graffiti, desto schlechter komme die Werbung zur Geltung. Am 25. September 2014 wurde OZ auf den Gleisen in der Nähe des Hamburger Hauptbahnhofs von einem Zug erfasst und starb an seinen Verletzungen. Wer genau hinsieht, findet seine Werke immer noch in Hamburg. Jede der Spiralen (Zyklone, Zyklon B) übrigens steht für jeden im KZ gestorbenen Menschen. Hier gibt es einen Plan mit den Werken von OZ in Hamburg: map.city-of-oz.hamburg

„Wenn an der Ecke ein Smiley ist, freut sich sogar die Polizei oder ärgert sich, da ist schon wieder so einer.“

– Walter Josef Fischer alias OZ

„Der hat so viel gewogen wie ein VW Käfer. Und Batterien gefressen hat der!

– Oliver „Davis“ Nebel, Kurator

Zwischen Powerhouse und Jugendzimmer

Der Originalschriftzug „Powerhouse“ erinnert an Hamburgs ersten HipHop -Club: Eine ehemalige Kiezgrößen-Muckibude in der Simin-von-Utrecht-Straße auf St. Pauli. Ich habe mal einen Sommer lang daneben gewohnt.

Oft war die Szene – überwiegend „junge Männer jeglicher Herkunft, meist zwischen 13 und 17 Jahre“, wie der Kurator sagt, jedoch draußen unterwegs. Und die Musik musste mit – per „Ghettoblaster“. „Der hat so viel gewogen wie ein VW Käfer“, erinnert sich Oliver Nebel. „Und Batterien gefressen hat der!“

Intimer Höhepunkt der Ausstellung ist ein nachgebautes – „fiktives“, wie der Kurator betont – Jugendzimmer eines 17jährigen Sprühers. Ganz fein ist hier der Übergang vom Kind zum jugendlichen Rebellen zu sehen: Im Regal stehen Zauberwürfel und Schlümpfe, auf dem schmalen Bett sitzen ein Plüsch Alf und zwei Monchichi – und hinter der Tür lagern die Sprühdosen.

„Mama, Mama, komm her, so etwas hast Du noch nicht gesehen“, ruft aufgeregt eine jugendliche Besucherin und zieht ihrer Mutter in das Zimmer. Ihr Blick trifft meinen, wir Frauen lächeln uns wissend an. Doch, so etwas haben wir schon mal gesehen. Damals. In echt.


Die App zur Ausstellung

Wo gesprüht wurde – und wo viele Graffitis heute noch zu sehen sind – darüber gibt eine App zur Ausstellung mit einem interaktiven Stadtplan Auskunft. Insgesamt lassen sich 55 Orte mit Augmented Reality (AR) erkunden, verfügbar sind Orginalfotos und Texte mit weiteren Infos zu den Hotspots.

Informationen:

EINE STADT WIRD BUNT. Hamburg Graffiti History 1980 – 1999

Eine Ausstellung im Museum für Hamburgische Geschichte, noch bis 31. Juli 2023 – verlängert bis 7. Januar 2024

Museum für Hamburgische Geschichte, Holstenwall 24, 20355 Hamburg

Eintritt: Erwachsene 5 €.

Mein Tipp: Kuratorenführungen jeden Donnerstag von 18 – 19 Uhr. Die Führungen sind im Eintrittspreis enthalten.

einestadtwirdbunt.de

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