Liebe Freundin von Welt,
stell Dir vor, Du stehst im Kaiserpalast in Peking, wo junge Frauen in prächtigen Hanfu-Gewändern für Fotos posieren, während ältere Generationen kritisch beäugen, wie Traditionen neu interpretiert werden. In China habe ich einen Generationenkonflikt beobachtet: Die Älteren nennen sich „die arme Generation“, wettern gegen die verwöhnten Einzelkinder, die nur konsumieren wollen und „sich keine Mühe machen“. Die Jüngeren sehen sich steigenden Lebenshaltungskosten bei schwächelnder Wirtschaft ausgesetzt – und finden verkleidet in historische Gewänder eine neue Verbindung zur Vergangenheit.
Deine Kirsten, Freundin von Welt
Inhaltsverzeichnis
- Die arme Generation und das Hanfu-Revival: Der Generationenkonflikt im modernen China
- Tiefe Narben: Die Kulturrevolution und ihre Folgen
- Der Konflikt: Zwischen Pflichtgefühl und Selbstverwirklichung
- Historischer Umbruch: Die Ein-Kind-Politik und ihre Nachwirkungen
- Faszination und Skepsis: Westliche Einflüsse und der digitale Graben
- Das Hanfu-Revival: Ein Hauch Vergangenheit in der Gegenwart
- Von Tradition zu Technologie: Selfies im historischen Gewand
- Gemeinsam erfolgreich: Grace und Joy Hu
- Die Suche nach einem Gleichgewicht
- Das Hanfu-Revival – ein Überblick
- Informationen zu meiner China-Reise
- Weiterlesen – die neuesten Blogbeiträge:
Die arme Generation und das Hanfu-Revival: Der Generationenkonflikt im modernen China
Der Generationenkonflikt in China ist nicht bloß ein Knistern zwischen Jung und Alt, sondern ein dunkles Grollen. Und mittendrin: Frau Ma, unsere Reiseleiterin. Meist ist sie sehr sachlich unterwegs, zurückhaltend. Doch bei der letzten gemeinsamen Fahrt bricht es aus ihr heraus: „Wir sind die arme Generation!“, sagt sie, „Viele junge Leute wollen nicht mehr heiraten. Sie wollen auch kein Kind haben. Sie wollen das Leben genießen und sich keine Mühe machen!“ Frau Ma spricht von einer Generation verwöhnter Einzelkinder. „Sie haben wenig Familiengefühl!“
Tagtäglich sieht sie das. Ihr Sohn ist 32, er lebt noch zuhause. Er füttert gerne Katzen und ist viel am Smartphone. Geht spät ins Bett.
„Meine Generation hat sich noch um ihre Eltern gekümmert. Die jetzige junge Generation ist verwöhnt, muss von den Eltern – von uns – finanziell unterstützt werden. Wir müssen unseren Kindern Autos und Smartphones kaufen. Gleichzeitig müssen wir uns um unsere Eltern kümmern. Wir sind die arme Generation!“
Was bedeutet das für eine Gesellschaft, die sich im ständigen Wandel befindet?
Tiefe Narben: Die Kulturrevolution und ihre Folgen
Die Kulturrevolution (1966–1976) liegt noch nicht lange zurück. Einer Zeit, die Familien spaltete und Karrieren zerstörte. Es gab keine Schule, keine Sicherheit.
Diese Erfahrung hat ihre Generation tief geprägt. Die ältere Bevölkerung Chinas, die diese Zeit miterlebte, erinnert sich mit Bitterkeit: an zerstörte Tempel, verbrannte Bücher und ideologische Kämpfe, die oft Nachbarn und Freunde entzweiten. Ihre Werte – Bescheidenheit, Disziplin und kollektives Denken – sind ein Überbleibsel dieser Zeit.
Es spricht niemand darüber. Wirklich niemand.
Für die jüngere Generation ist die Kulturrevolution weit entfernt. Sie wuchs in einem China auf, das sich nach außen öffnete und zum globalen Wirtschaftswunder wurde. Diese unterschiedlichen Erfahrungen prägen nicht nur das Denken, sondern auch die Beziehung zwischen Jung und Alt.
Der Konflikt: Zwischen Pflichtgefühl und Selbstverwirklichung
Frau Ma gehört zur Generation derer, die ihre Eltern ehrten, mit Hingabe arbeiteten und stets die Familie im Fokus hatten. Doch was sie sieht, sind Einzelkinder, die, so sagt sie, „verwöhnt sind, wenig Familiengefühl haben und von uns finanziell unterstützt werden müssen.“ Ihr Sohn ist kein Einzelfall: Viele junge Chinesen streben weder nach Ehe noch Kindern. Sie „genießen das Leben“, erzählt Frau Ma und schüttelt den Kopf. „Autos und Smartphones müssen wir ihnen kaufen – und gleichzeitig unsere eigenen Eltern versorgen.“
Das „4-2-1-Phänomen“ beschreibt das Ungleichgewicht: Vier Großeltern, zwei Eltern, ein Kind – und das Kind trägt die Last. Viele junge Menschen suchen deshalb Fluchtwege: etwa durch „Tangping“ – dem „Flachliegen“, einer Art sanftem Protest gegen das leistungsorientierte Leben.
Historischer Umbruch: Die Ein-Kind-Politik und ihre Nachwirkungen
Die in den 1979 eingeführte (und erst 2015 beendete) Ein-Kind-Politik brachte 280 Millionen Einzelkinder hervor. Sie wuchsen ohne Geschwister auf, oft stark umsorgt. Manche nennen sie „kleine Kaiser“, andere die „erste Generation der Freiheit“. Doch diese Freiheit hat ihren Preis: eine Überalterung der Gesellschaft, eine zerrissene Familienstruktur und ein wachsendes Gefühl der Entfremdung zwischen den Generationen. Hohe Erwartungen der Eltern führten zu verstärktem Leistungsdruck.
Faszination und Skepsis: Westliche Einflüsse und der digitale Graben
Mit der wirtschaftlichen Öffnung Chinas kamen westliche Einflüsse: Popmusik, Sneakers, Kaffee. Diese Dinge faszinieren die jüngere Generation, während ältere Chinesen oft skeptisch sind.
Die Digitalisierung verschärft die Kluft. Während die Älteren WeChat gerade einmal nutzen, um mit ihren Kindern zu kommunizieren, teilen die Jungen auf TikTok (heißt in China: Douyin) täglich kurze Videos. Die ältere Generation kritisiert oft, dass die digitalen Kanäle isolieren, während die Jungen sie als Mittel der Selbstdarstellung und Vernetzung feiern.
Das Hanfu-Revival: Ein Hauch Vergangenheit in der Gegenwart
Und dann ist da die Hanfu-Bewegung. Die farbenfrohen, fließenden Gewänder der Han-Dynastie erleben gerade ein Revival. Nach Jahrhunderten des Vergessens, als das Tragen traditioneller Kleidung durch die Mandschu-Herrscher und später die Kulturrevolution unterdrückt wurde, kehren die Kleider zurück – modifiziert, modernisiert und millionenfach geteilt.
Junge Frauen posieren in Parks, vor alten Tempeln oder an Orten wie dem Kaiserpalast in Peking. Auf TikTok (Douyin) teilen sie ihre Bilder mit Hashtags wie #Hanfu oder #HanfuGirl. Doch es ist mehr als ein Trend. Viele junge Menschen sehen im Hanfu-Revival eine Möglichkeit, sich mit ihren kulturellen Wurzeln zu verbinden.
Von Tradition zu Technologie: Selfies im historischen Gewand
Junge Chinesinnen posieren in prächtigen Hanfu-Roben im Kaiserpalast in Beijing, im Wasserdorf Wuzhen und in den Gärten von Suzhou. Eigentlich überall. Dabei scheint es ihnen völlig egal zu sein, dass die Sonne knallt und die Temperatur bei etwa 35°C liegt. Die aufwendige Frisur sitzt.
Für die einen ist es TikTok-taugliche Nostalgie, für die anderen eine Rückkehr zu den kulturellen Wurzeln. Während ältere Generationen manchmal die Nase rümpfen, nutzen die Jungen moderne Medien, um das alte China in die Gegenwart zu holen – ein Kontrast, der den Wandel im Land greifbar macht. Und die Regierung? Findet das gut. Die Bewegung wird als Teil des „Chinesischen Traums“ und der „Großen Wiederbelebung der chinesischen Nation“ gesehen.
Gemeinsam erfolgreich: Grace und Joy Hu
Grace Hu und ihre Tochter Joy sind ein Beispiel dafür, wie Tradition und Moderne zusammenfinden können. Die beiden designen gemeinsam Schmuck – ausgefallene, originelle Stücke. „Pearlona“ heißt ihr Unternehmen. „Ich bringe das Handwerk und die Erfahrung ein, Joy versteht, was die Jungen anspricht“, sagt Grace. Nun haben sie in Shanghai auch einen Tea Room eröffnet. Der Tee wird in traditionellen „purple clay“-Kannen aufgegossen. Die Teebecher kommen auf einem Wasserlauf in kleinen Boote angeschwommen. „Einst saßen die Philosophen und Dichter am Fluss und tranken Tee und schrieben dabei Gedichte. Tee ist Kultur und Geschichte. Wir wollen so die chinesische Kultur bei der jungen Generation wieder beleben“, erklärt Joy.
Die Suche nach einem Gleichgewicht
Ob Generationenkonflikt oder Hanfu-Revival – China balanciert zwischen Tradition und Moderne, zwischen Pflicht und Freiheit. Vielleicht sind es genau diese Spannungen, die das Land so faszinierend machen: Die Jungen verkleiden sich und knipsen Selfies, die Alten schuften. Und irgendwo dazwischen tanzt eine Dame mit Schwert oder Stock am Westsee in Hangzhou. „Oma-Disco“ nennt Frau Ma die Gymnastik der Senioren im Park.
Was bleibt? Ein Funke Hoffnung, dass die Unterschiede nicht trennen, sondern verbinden.
Ich bin fasziniert von den vielen bunten Roben, von den bestickten und wallenden Gewändern, die mir in den Palästen, Tempeln und Gärten begegnen. „Deutsche Touristen fotografieren die Sehenswürdigkeiten. Chinesische Touristen fotografieren sich selbst vor den Sehenswürdigkeiten“, erklärt Reiseleiter Herr He. Und ich? Ich fotografiere Chinesinnen, die sich selbst vor den Sehenswürdigkeiten fotografieren. Da sehen die alten Mauern doch gleich ein wenig belebter aus.
Das Hanfu-Revival – ein Überblick
Die Hanfu-Bewegung begann um 2003, als der Trend durch Onlineforen verbreitet wurde. Heute ist sie eine nationale Bewegung, mit Millionen von Anhängern, die die Kleidung zu Festivals, Hochzeiten oder einfach im Alltag tragen.
Historischer Hintergrund:
Hanfu stammt ursprünglich aus der Han-Dynastie (206 v. Chr. – 220 n. Chr.) und war bis zur Qing-Dynastie die Hauptkleidung der Han-Chinesen. Die langen, fließenden Gewänder stehen für Eleganz und konfuzianische Werte wie Harmonie und Respekt.
Die moderne Bewegung:
Durch Plattformen wie Douyin und Bilibili erreicht Hanfu die Generation Z. Online-Stores wie Taobao bieten mittlerweile alles – von preiswerten Massenproduktionen bis hin zu handgenähten Einzelstücken. Der Markt hat einen Wert von über 10 Milliarden Yuan erreicht, mit einer wachsenden Zahl an Hanfu-Influencern, die ihre Looks und Geschichten teilen.
Von der Regierung unterstützt:
Die chinesische Regierung unterstützt die Wiederbelebung traditioneller Kultur, einschließlich des Hanfu, als Teil der Förderung von Patriotismus und nationaler Identität.
Kulturelle Bedeutung:
Für viele ist Hanfu nicht nur Kleidung, sondern ein Statement. Es symbolisiert kulturelle Identität und Stolz.
Informationen zu meiner China-Reise
Zu der Recherchereise nach China wurde ich vom Reiseveranstalter Gebeco eingeladen. Danke!
Gebeco bietet 12 Reisen nach China an, zum Beispiel Spektakuläre Höhepunkte Chinas (14-Tage Erlebnisreise ab 3095 Euro inkl. Flüge mit Air China) und China – Das Reich der Mitte (21-Tage-Studienreise ab 4195 Euro inkl. Flüge). Viele Reisen sind ab vier Personen garantiert.
Die Reisen von Gebeco sind voller Begegnungen. Ich trainierte mit einem Taijiquan-Meister in Shanghai im Park, trank mit einem Teebauern Drachenbrunnentee, plauderte mit Schmuck-Designerinnen und einem von Chinas Top-Ten-Portraifotografen. Mehr dazu (demnächst) hier auf diesem Blog!
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