Liebe Freundinnen von Welt,
Taijiquan, bei uns auch als Taiji oder Tai Chi bekannt, ist eine alte chinesische Kampf- und Bewegungskunst. Als ich in China unterwegs war, habe ich einem Taijiquan-Meister in Shanghai getroffen – und mit ihm morgens im Park geübt.
Lasst mit mir die Energie fließen!
Eure Kirsten, Freundin von Welt
Ältere Damen mit Stock und Schwert
Wenn Euch in China im Park morgens eine ältere Dame mit einem langen Stock oder einem Schwert begegnet, ist das kein Grund, schreiend die Flucht zu ergreifen. Keine Sorge: die will nur spielen. Besser gesagt: üben.
Direkt nach Sonnenaufgang strömen die Menschen – meist ältere Damen – in die Parks, um Frühsport zu treiben. Gymnastik, Tanz und auch Taijiquan, von unserem Reiseleiter als „Schattenboxen“ übersetzt. Bei dieser Kampfkunst mit langsamen, fließenden Bewegungen (und manchmal explosiven Ausbrüchen darin) gibt es auch Waffenformen, mit Schwert oder Langstock.
Der Meister
Huang Lixiong führt Taijiquan vor
Die Hände des Meister
Nur einen kurzen Moment ruhen die Hände von Huang Lixiong
Taijiquan-Versuche mit dem Meister
In Shanghai lädt uns Meister Huang Lixiong ein, mit ihm etwas Morgengymnastik im Park zu machen. Hinter ihm ragt der Bambus in die Höhe.
Der Meister steht uns gegenüber, wir (eine etwas hüftsteife deutsche Reisegruppe) versuchen, seine Bewegungen spiegelbildlich nachzumachen. Das fühlt sich viel anstrengender an, als es bei ihm aussieht.
Die Energiekugel schieben
Während er mit seinen Händen eine unsichtbare Kugel sanft von einer Seite zur anderen schiebt und dabei sein Körpergewicht geschmeidig fließend von einem auf das andere Bein verlagert, wedeln wir leicht hilflos mit den Armen, als hätten wir Probleme mit einer imaginären Schiebetür. Während er elegant die Arme hebt, federleicht auf den Zehenspitzen steht, sehen wir aus, als würden wir mühsam etwas aus dem obersten Küchenregal angeln. Während er beim Herabfallenlassen der Arme energisch die Luft ausstößt, schnaufen wir, als wären wir dem Bus hinterhergerannt und ließen uns jetzt auf den Sitz fallen. Während er elegant den Bogen spannt, stehen wir mit hochgezogenen Schultern und halb zusammengekniffenen Augen da, als hielten wir an einer Schießbude ein Luftgewehr in der Hand.
Locker lassen!
Mit mild-strengem Blick beobachten uns seine Gehilfinnen, korrigieren Arm- und Beinhaltungen und tippen uns auf die Schultern, als Aufforderung, diese doch endlich bitte mal locker zu lassen.
Bei einer Übung – die Knie leicht beugen, die Schultern sinken lassen, den Kopf aufrecht, die Hände vor dem Körper, als würde man etwas unter Brusthöhe einen schmalen Baum umarmen – heißt es, so könnte man ewig stehen. Nach etwa einer Minute entwickele ich ein ganz neues Gefühl für Ewigkeit, sie beginnt doch erstaunlich schnell. Wie schwer meine Arme sein können! Und trotzdem: Es fühlt sich auch gut an.
Gelenkig
Die Dame am Ufer des Westsees macht Dehnübungen
Aufrecht
Bambus in Shanghai
Der Meister gibt uns noch eine Vorführung vor dem dekorativen Bambus-Beet – ah, so sieht das also wirklich aus, wenn ein Könner am Werk ist.
Danach ist er bereit, auf unsere Fragen zu antworten.
Das Ziel ist Harmonie: Interview mit Taijiquan-Meister Huang Lixiong
Seit seiner Kindheit in Fujian ist Huang Lixiong, 63, Schüler der Kampfkünste, seit 1997 praktiziert er Chen Taijiquan unter der Anleitung von Großmeister Chen Youzhe. Er besitzt den sechsten Dan in den nationalen Kampfkünsten und gehört zur 13. Generation des Chen’s Taijiquan und gewann diverse Gold- und Silbermedaillen. Heute ist er stellvertretender Leiter der Handelskammer der Fujian Provinz und Lehrer für Taijiquan an der Universität für Kommunikation.
Wie lange und wie oft üben Sie?
Seit 1996 jeden Tag. Ich praktiziere Chen Taijiquan, das hat seinen Ursprung in dem Dorf Chenjiagou in der Provinz Henan in Zentralchina. Der Begründer heißt Chen Wangting, die Richtung entstand vor etwa 400 Jahren. Es ist die älteste, traditionelle Form von Taijiquan. Die Bewegung sieht sehr zart und weich aus, aber mit Zartem bekämpft man Hartes. Ursprünglich ist Taijiquan eine Richtung von Kungfu. Aber Taijiquan ist heute keine Kampftechnik mehr, sondern eine Gymnastik, um gesund zu bleiben.
Ist Taijiquan für den Geist oder für den Körper?
Beides! Das Ziel ist Harmonie zu erreichen. Wenn man lange übt, bleibt der Verstand scharf, der Geist klar und der Körper gesund.
Wie lang sind die Übungseinheiten?
Längere Einheiten haben 83 Bewegungen. Bei kurzen Einheiten gibt es 26 Bewegungen.
Was sind die häufigsten Anfängerfehler?
Anfänger sind oft zu nervös und entspannen sich nicht. Am Anfang kann einem das Üben manchmal eintönig und langweilig vorkommen. Man braucht Monate oder Jahre, um jede Bewegung wirklich zu lernen. Und selbst wenn Sie nur die Bewegung die Grundbewegungen kennen: die Hauptsache ist, sich zu entspannen.
Wie mache ich das?
Der Kopf sollte leer sein. Sie sollten den Energiefluss im Körper spüren. Durch die Nase in den Unterbauch (Dantian, das Energiezentrum, etwa zwei Fingerbreit unter dem Bauchnabel) atmen. Denken Sie dabei an den Duft von Blumen. Gleichmäßig einatmen und ausatmen.
Worauf sollte ich noch achten?
Das Symbol von Taijiquan ist Yin und Yang. Kennen Sie das Zeichen? Bei den Bewegungen ist es wichtig, keine geraden Linien zu auszuführen. In der halbflachen Stellung liegen 30 Prozent des Körpergewichts auf dem einen Bein, 70 Prozent auf dem anderen Bein. Dann verschiebe ich den Schwerpunkt sanft in einer wellenförmigen Bewegung vom einen auf das andere Bein.
Wie werde ich gut im Taijiquan?
Harmonie zu erreichen ist nicht so leicht. Man braucht Talent und muss jeden Tag üben. Und weiß trotzdem nicht, wann man die Harmonie erreicht. Irgendwann, wenn man nicht mehr darüber nachdenkt, kommt vielleicht die Inspiration.
Sie tragen einen wunderbar fließenden, sehr eleganten Anzug. Woher haben Sie den?
Der ist inspiriert von der Kleidung der Tang-Dynastie und extra in einer Manufaktur für mich angefertigt. Solche Anzüge sind jetzt aber auch bei den jüngeren Menschen sehr beliebt.
Balance
Taijiquan im Park in Shanghai
Fließend
sind die Bewegungen beim Taijiquan
Information
Zu der Recherechereise nach China wurde ich vom Reiseveranstalter Gebeco eingeladen. Danke!
Gebeco bietet 12 Reisen nach China an, zum Beispiel Spektakuläre Höhepunkte Chinas (14-Tage Erlebnisreise ab 3095 Euro inkl. Flüge mit Air China) und China – Das Reich der Mitte (21-Tage-Studienreise ab 4195 Euro inkl. Flüge). Viele Reisen sind ab vier Personen garantiert.
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