Urlaubsmüdigkeit – kennt Ihr das? Warum moderner Urlaub oft keine Erholung bringt und was wir stattdessen brauchen, um wirklich bei uns anzukommen. Gedanken über das Reisen – und das Nichtreisen. Über Ferienmüdigkeit, Tourismusrituale und die leise Sehnsucht nach echter Erholung.
Liebe Freundinnen von Welt,
ich habe eine eingebaute Wegfahrsperre. Sie springt zuverlässig an, sobald sich Urlaubsplanung wie eine zweite Steuererklärung anfühlt: Listen, Buchungsportale, Erwartungen.
Deshalb schreibe ich über das Thema Reisen aus der Innenperspektive einer, die oft lieber bleibt. Oder sich wenigstens nicht so ganz mitreißen lässt vom kollektiven Drang, „endlich mal rauszukommen“.
Manche Beispiele in diesem Text sind ausgedacht – aber nicht erfunden. Sie sind zusammengesetzt aus Erinnerungsfetzen, Erzählungen, Bildern im Kopf. So wie Reisen selbst oft mehr mit Vorstellung als mit Wirklichkeit zu tun haben.
Und falls Ihr Euch in einem dieser Momente wiedererkennen: Willkommen. Vielleicht hilft dieser Text ja ein bisschen beim Aussteigen. Oder beim Zuhausebleiben. Oder einfach beim tiefer Durchatmen.
Eure Kirsten, Freundin von Welt

Inhaltsverzeichnis
- Warum Urlaub sich manchmal falsch anfühlt
- Reisen als Gruppenzwang: Der stille Druck, Urlaub zu machen
- Wenn Erholung erschöpft: Der mentale Stress moderner Ferien
- Der mobile Käfig: Neue Kulissen, alte Routinen
- Der Rückspul-Effekt: Warum wir Orte aus der Vergangenheit suchen
- Urlaub als Reproduktion kollektiver Sehnsüchte
- Die Sehnsucht nach Echtheit: Authentizität als Reiseillusion
- Wie man dem Wahnsinn entkommt? Ganz langsam auf dem Rad!
- Langsamkeit als Luxus: Kleine Reisen, große Wirkung
- Balkonien mit Tiefgang: Zuhause bleiben als Befreiung von der Urlaubsmüdigkeit
- Der Sommer, den man verschlampt: Entspannung ohne Erwartung
- Ankommen im Jetzt: Warum echte Erholung oft ganz nah ist
- Buchtipp: „Ferienmüde“ von Valentin Groebner
- Häufig gestellte Fragen (FAQ) zum Thema Urlaubsmüdigkeit
- Weiterlesen – mehr Blogbeiträge:
- Land
Warum Urlaub sich manchmal falsch anfühlt
Ich erinnere mich noch genau. Es war der dritte Tag unseres Urlaubs in Dänemark, irgendwo zwischen Dünen, Wildrosenhecken und Softeis. Ich saß auf der Terrasse unseres charmant abgewohnten Ferienhauses, trug ein Kleid, das sich sehr nach Hygge und sehr wenig nach mir anfühlte, und dachte: „Was mache ich eigentlich hier?“ Der Kaffee war lauwarm, der Wind zu scharf für August, und ich hatte das Gefühl, in einem Pinterest-Board festzustecken, das jemand anders für mich gestaltet hatte. Willkommen in meinem persönlichen Käfig mit Meerblick.
Dabei hatte alles so verheißungsvoll begonnen. Sehnsuchtsvolle Planung im Januar („Dieses Jahr machen wir mal was ganz anderes“), stundenlange Recherche auf Ferienhausportalen („Nur 300 Meter zum Strand – perfekt!“), das Ritual der Vorfreude („Ich hab schon ein dänisches Kochbuch bestellt – und du?“). Und dann steht man da, mit zerzausten Haaren vom Küstenwind und Google Maps in der Hand, weil man trotz der 300 Meter immer wieder den falschen Weg zur Düne nimmt.

Reisen als Gruppenzwang: Der stille Druck, Urlaub zu machen
Es gibt einen klugen Mann, der meine Urlaubsverzweiflung auf den Punkt gebracht hat: Valentin Groebner. Historiker, Mittvierziger (okay, Sechziger, aber sehr jugendlich in der Denke), lebt in Luzern, dem Disneyland für Touristen. Er hat ein Buch geschrieben, das „Ferienmüde“ heißt – ein Titel, der klingt wie ein Seufzen auf Papier. Groebner stellt die ketzerische, aber so wahnsinnig befreiende Frage: Was wäre, wenn wir einfach mal… nicht verreisen?
Ich weiß. Blasphemie. Schließlich ist Urlaub unser heiliger Gral, unser Licht am Ende des Büroflures. Aber Groebner sagt: Vielleicht ist der Urlaub gar kein Akt der Freiheit mehr, sondern ein Ritual, ein Zwang, ein kollektives „Jetzt müssen wir aber mal raus!“. Und ich dachte: Verdammt, der Mann hat recht.
Denn wie viel Entscheidung steckt eigentlich noch in unserem Reisen? Wir fahren nicht weg, weil wir es unbedingt wollen, sondern weil es alle tun. Weil es dazugehört. Wie Raclette an Silvester oder Detox im Januar. Nur dass Raclette nicht so viel kostet und Detox wenigstens keine Parkplatzsuche beinhaltet.

Wenn Erholung erschöpft: Der mentale Stress moderner Ferien
Ich habe Urlaube erlebt, da war ich am Ende müder als vorher. Nicht körperlich – mein Schrittzähler war beleidigt vor lauter Faulenzen – sondern mental. Ich war erschöpft vom Müssen: schöne Ausflüge machen, gutes Essen genießen, die richtige Mischung aus Aktivität und Entspannung finden (eine Lebensaufgabe!). All das in der Erwartung, danach sagen zu können: „Es war sooo erholsam.“ Was ich oft nicht konnte. Stattdessen sagte ich: „Nächstes Jahr fahren wir aber mal ganz anders weg.“

Der mobile Käfig: Neue Kulissen, alte Routinen
Das ist das perfide am Reisen: Es verspricht uns Erneuerung, und liefert am Ende bloß Routine mit Meersalz. Groebner nennt das den „mobilen Käfig“ – wir fliehen aus dem Alltag und landen doch nur in einer Variante davon mit anderen Möbeln und schlechterem WLAN. Die Kulisse ändert sich, das Drehbuch bleibt gleich.

Der Rückspul-Effekt: Warum wir Orte aus der Vergangenheit suchen
Was mich besonders getroffen hat: Groebners These, dass wir gar nicht reisen, um Neues zu entdecken – sondern um unsere Vergangenheit nachzustellen. Wir fahren an Orte, die uns an frühere, intensivere Zeiten erinnern: der erste Urlaub zu zweit, die Sommer mit den Kindern, das Jahr in der Toskana, das einfach perfekt war (vermutlich, weil es damals noch kein WLAN gab und wir gezwungen waren, miteinander zu reden).
Ich könnte auch so eine Retrospektiv-Reisende sein. Und Du? Ein Beispiel: Der Sommer in Italien – am gleichen See, an dem wir vielleicht mit Anfang zwanzig einen unvergesslichen Urlaub verbracht haben. Damals: Aperol im Glas, den „Serenata Rap“ von Giovanotti in den Ohren, ein flirtender Italiener auf der Vespa. Diesmal: Zeckenwarnung, Regenwetter und ein Begleiter, der sich über den Preis fürs Parken aufregt. Tja.

Urlaub als Reproduktion kollektiver Sehnsüchte
Der Urlaub ist eine Inszenierung. Eine Reproduktion kollektiver Sehnsüchte. Wir reisen nicht nur im Raum, sondern vor allem in der Zeit – zurück zu den Momenten, in denen das Leben sich noch neu, frisch, aufregend anfühlte. Der Sommer mit dem ersten Kuss. Die große Reise nach dem Abi. Das Zeltlager mit Lagerfeuerromantik. Und dann stehen wir zwanzig Jahre später wieder an einem Strand und wundern uns, warum es sich nicht mehr so anfühlt wie damals.
Vielleicht, weil wir uns selbst nicht mehr so fühlen.

Die Sehnsucht nach Echtheit: Authentizität als Reiseillusion
Was uns die Reiseindustrie verkauft, ist ein Gefühl. Authentizität. Ursprünglichkeit. Das „echte Leben“ in Lissabon, die „verborgenen Juwelen“ in Kambodscha, die „Geheimtipps“ auf Mallorca, die in jedem dritten Reiseführer stehen. Aber, sagt Groebner: Das Authentische ist inszeniert. Es ist ein Theaterstück, in dem wir mitspielen. Die Kulissen sind hübsch, die Darsteller bemüht, aber die Geschichte bleibt eine Fiktion.
Ich habe mal eine Tour durch die Altstadt von Dubrovnik mitgemacht. Der Guide erklärte uns, an welcher Ecke „Game of Thrones“ gedreht wurde. Der Satz fiel fünfzehnmal. Der Rest der Gruppe machte Selfies mit nachgeahmtem Schwert. Ich stand daneben und fragte mich, wann das Authentische eigentlich zu einem Requisit wurde. Wahrscheinlich irgendwann zwischen Duty-Free und Google-Bewertung.

Wie man dem Wahnsinn entkommt? Ganz langsam auf dem Rad!
Denn das ist der zweite, heimliche Grund, warum wir reisen: Wir hoffen, dort wiederzufinden, wer wir einmal waren. Oder noch besser: Wer wir gerne wären. Der entspannte Typ im Leinenhemd. Die Weltreisende mit windzerzausten Haaren. Die stille Beobachterin mit dem Notizbuch in der Hängematte. Nur leider ist der Strand laut, das Notizbuch bleibt leer, und das Leinenhemd knittert unvorteilhaft.
Groebners Lösung? Radfahren. Er fährt mit seiner Tochter auf dem Tandem quer durch Frankreich. Ich stelle mir das bildlich vor: Zwei Menschen, ein Sattel, viele Wadenkrämpfe – aber auch der Wind im Gesicht und das Gefühl, unterwegs zu sein, ohne Ziel, aber mit Sinn.
Ich selbst bin da nicht ganz unbeleckt – ich liebe Radfahren, besonders in Dänemark und Schweden. Diese stillen Wege durch Heide und Dünen, die salzige Luft, die Möwen, die sich über meinen Proviant wundern, und das konstante Rauschen des Meeres zur Linken: Das ist für mich ein Stück Freiheit auf zwei Rädern. Keine Kreuzungen mit Stau, keine Tankstellen-Toiletten, nur das leise Surren der Reifen und das beruhigende Gefühl, wirklich unterwegs zu sein.

Langsamkeit als Luxus: Kleine Reisen, große Wirkung
Einmal bin ich auf dem Nordseeküstenradweg gefahren – mit Packtaschen, Regenjacke und ohne festen Plan. Ich erinnere mich an den Moment, als ich an dem Flugplatz vorbeikam, an dem Reinhard Mey den Song „Über den Wolken“ geschrieben haben soll. Genau diese grenzenlose Freiheit, die er besingt, spürte ich da. Dafür musste ich gar nicht abheben.
Und dann war da noch dieser legendäre Rhabarberkuchen in Dangast – frisch aus dem Ofen, auf einer Terrasse mit Blick aufs Wattenmeer, während Möwen um die letzten Krümel stritten. Der perfekte Abschluss einer windigen Etappe, süß-sauer wie das Leben selbst.

Balkonien mit Tiefgang: Zuhause bleiben als Befreiung von der Urlaubsmüdigkeit
Trotzdem bin ich auch eine große Freundin des Verreisens ohne Verreisen. Ich nenne es „Balkonien mit Tiefgang“. Man braucht: einen bequemen Stuhl, ein gutes Buch, vielleicht eine Katze, die vorbeischaut, und den festen Willen, nichts zu planen. Keine Liste mit Sehenswürdigkeiten. Keine Timeslots fürs Abendessen. Einfach sein.
Einmal habe ich den ganzen August zu Hause verbracht. Keine Termine. Keine To-dos. Nur Balkon, Bücher und baden im See. Es war herrlich. Und ja, es kam auch die Langeweile. Aber mit ihr kam eine tiefe Form von Entspannung, die kein All-inclusive-Hotel dieser Welt je hinbekommen hat.
Vielleicht ist das die neue Freiheit: sich vom Drehbuch zu lösen. Die Kamera aus der Hand zu legen (oh, das fällt mir schwer!). Keine Postkartenmotive zu sammeln, sondern echte Erinnerungen. Und die müssen nicht mal weit weg entstehen. Manchmal reicht ein Gespräch mit einer Freundin im Garten. Oder ein verregneter Tag im Bett mit einem guten Buch. Oder ein Spaziergang durch die eigene Stadt mit den Augen eines Fremden.

Der Sommer, den man verschlampt: Entspannung ohne Erwartung
Groebner nennt das „das Verschlampen des Sommers“. Ein schönes Wort. Ein bisschen schlampig, ein bisschen trotzig, aber voller Potenzial. Wer nichts plant, bekommt mehr geschenkt. Oder wie die von mir überaus geschätzte Meike Winnemuth sagen würde: „Man muss sich auch mal überraschen lassen vom Leben.“

Ankommen im Jetzt: Warum echte Erholung oft ganz nah ist
Ich lasse mich jedenfalls überraschen. Vom Nichtstun. Vom Jetzt. Vom Geräusch der Amsel um sechs Uhr morgens, wenn der Rest der Stadt noch schläft (oder wenigstens schlafen sollte). Und von dem Gefühl, das sich einstellt, wenn man merkt: Ich brauche gerade keinen Urlaub. Ich bin schon da.
Und falls ich doch mal wieder wegfahre – dann nur mit leichtem Gepäck. Ohne Erwartungen. Und vielleicht auch ohne Leinenhemd. (Ach nee, das kommt doch lieber mit.)
Aber ganz bestimmt mit einem offenen Herzen.

Buchtipp: „Ferienmüde“ von Valentin Groebner
Historiker Valentin Groebner zieht in „Ferienmüde. Als das Reisen nicht mehr geholfen hat“ ein schonungsloses Resümee von Reiselust und -frust.
Häufig gestellte Fragen (FAQ) zum Thema Urlaubsmüdigkeit
Ja – absolut. Die Sehnsucht nach Ruhe und Selbstbestimmung ist legitim. Wer bewusst zu Hause bleibt, kann oft tiefer entspannen als in der Ferne.
Weil Vorfreude ein Projektionsraum ist. Sie lebt von Idealbildern, die selten mit der Realität mithalten – ähnlich wie ein romantisierter Instagram-Post.
Ja. Sie kann ein Portal zu echter Regeneration sein – ein Raum, in dem Gedanken sich sortieren und neue Kreativität entsteht. Wer sich traut, nichts zu tun, gewinnt Tiefe.
Indem man sich erlaubt, unperfekt zu genießen. Wer loslässt, statt zu planen, wird oft überrascht – und sammelt Erlebnisse statt Checklisten-Erfolge.
Sehr viel. Ob Abenteuer, Rückzug oder Kulturprogramm – wir inszenieren im Urlaub auch eine Version unserer selbst. Das bewusst zu reflektieren, kann befreiend sein.
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