Flossenbürg und Bonhoeffer: Erinnerung als Auftrag

80 Jahre danach: Warum Gedenken heute wichtiger ist denn je – ein Besuch in der Gedenkstätte Flossenbürg

Liebe Freundinnen von Welt,

im April 2025 jähren sich zwei Ereignisse, die nicht nur geschichtliche Fußnoten sind, sondern Prüfsteine für unser Erinnern: Am 9. April vor 80 Jahren wurde Dietrich Bonhoeffer im Konzentrationslager Flossenbürg ermordet – ein evangelischer Theologe, der nicht schwieg, als Schweigen bequemer gewesen wäre. Und am 23. April 1945 befreite die US-Armee eben jenes Lager – Flossenbürg –, in dem er seine letzten Stunden verbrachte. Acht Jahrzehnte danach ist klar: Wer heute Gedenkstätten besucht, macht keine Vergangenheitsbewältigung, sondern Gegenwartsarbeit.

Torhaus der Gedenkstätte Flossenbürg

Gedenkstätte Flossenbürg

Das Torhaus

Richtungsweisend

Zur Ausstellung „was bleibt“

Zur Ausstellung "was bleibt" in der Gedenkstätte Flossenbürg

Manchmal genügt ein Denkmal, um eine Erinnerung zu wecken. Ich gehe durch Hamburg, ein sonniger Tag, der Wind pustet mir die Gedanken frei. An der St.-Petri-Kirche bleibe ich stehen. Da steht er – Dietrich Bonhoeffer, aus Bronze, mit gefesselten Händen. Ein Mann, der standhielt. Auf dem Sockel steht der Ort seines Todes: Flossenbürg. Damals KZ, heute Gedenkstätte. Ich denke zurück an einen Besuch dort vor einigen Jahren. Fünf Menschen, drei Generationen, ein Tag im Sommer, heiß wie ein Ofenblech. Die Schwiegereltern, mein Mann, eine Tochter und ich. Die Sonne brannte, als wolle sie alles Vergangene ausbleichen – aber die Geschichte bleibt, wie ein dunkler Schatten unter den Augen.

Gedenkstätte Flossenbürg

Leerstelle

Am Rand ist die Wohnbebauung sichtbar

Lagertor

Ein Schild verrät, wie es früher aussah

Gedenkstätte Flossenbürg: Schild zum Lagertor

Ein vergessener Häftling: Bonhoeffers letzte Stunden

Dietrich Bonhoeffer verbringt in Flossenbürg nur wenige Stunden. Im April 1945, die Front rückt näher, das Regime zieht die letzten Register seines Hasses. Sonderhäftlinge aus Buchenwald werden nach Weiden in der Oberpfalz gebracht, von dort weiter nach Flossenbürg. Doch Bonhoeffer wird schlicht vergessen. Er landet in einem Schulhaus im bayerischen Schönberg, wo er am Weißen Sonntag, dem 8. April, noch eine Morgenandacht hält. Erst später wird bemerkt, dass jemand fehlt. Die SS holt ihn nach. In Flossenbürg trifft er am Abend ein. Ein Standgericht urteilt schnell. Der Befehl zur Hinrichtung kommt direkt vom „Führer“. Noch einmal wird aufgeräumt. Auch Georg Elser stirbt, auch Hans von Dohnanyi. Ein letzter, kalt kalkulierter Akt der Rache.

Dietrich Bonhoeffer

Dietrich Bonhoeffer

4.2.1906-9.4.1945, ermordet in Flossenbürg

Lichtschein

Fenster in der Kapelle in Flossenbürg

Buntes Fenster in der Kapelle

Dietrich Bonhoeffer – Stimme des Widerstands im NS-Regime

Glaube, Haltung und Mut: „Dem Rad in die Speichen fallen“

Bonhoeffer, geboren 1906, war kein bequemer Christ. Er dachte klar, handelte früh. Als die meisten noch hofften, dass der Spuk sich von selbst erledige, sprach er im Radio gegen das „Führerprinzip“. Das Mikrofon wurde abgeschaltet – sein Protest nicht. Er arbeitete mit Jugendlichen in Berlin-Wedding, unterrichtete am Predigerseminar in Finkenwalde, reiste nach New York, London, in die Schweiz. Er war ein Theologe, aber keiner, der sich hinter Büchern versteckte. Widerstand war für ihn kein theologisches Konzept, sondern eine Praxis. „Nicht nur die Opfer unter dem Rad verbinden, sondern dem Rad selbst in die Speichen fallen“, schrieb er. Kein romantischer Held, sondern ein klar Denkender – ein Mann mit Haltung in einer Zeit der Duckmäuser.

Feld der Erinnerung in Flossenbürg

Feld der Erinnerung

Asche und Gebeine unter dem Grün

Gedenkstele

Der §175 kriminalisierte Homosexualität

Gedenkstele

Die Gedenkstätte Flossenbürg – Erinnerungsort mit Tiefe

Was bleibt? Geschichte sichtbar machen

Auf unserem Weg durch die Ausstellung schweigen wir meist. Nicht aus Verlegenheit. Sondern weil jedes Wort daneben klingt. In der ehemaligen Wäscherei wird die Geschichte des KZ dokumentiert: Fotos, Zitate, persönliche Gegenstände, nüchtern präsentiert, eindringlich gerade deshalb. In der zweiten Ausstellung – „Was bleibt“ – geht es um die Nachwirkungen. Wie erinnerte man sich? Oder eben nicht? Was wurde verdrängt, was verklärt, was verschwiegen? Mein Schwiegervater – er war zur Nazizeit ein Kind – liest, dass Flossenbürg ein Außenlager für die Rüstungsindustrie war. Das wusste er nicht. Und wir wissen jetzt: Erinnern ist kein Zustand, sondern ein Prozess.

Ausstellung in der Gedenkstätte Flossenbürg

Ausstellung

Bilder erinnern an die Menschen

Nachlass

Papier und Stifte, im Saum eingenäht

Papier und Stifte als Ausstellungsstück

Vom Granit zum Gedenken

Flossenbürg und seine schwierige Erinnerung

Flossenbürg war einst ein unauffälliges Arbeiterdorf im Oberpfälzer Wald – geprägt vom Granitabbau, beliebt als Ausflugsziel. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde der Ort Teil ihrer Rüstungs- und Vernichtungsmaschinerie: 1938 errichtete die SS hier ein Konzentrationslager. Über 100.000 Männer und Frauen aus mehr als 30 Ländern wurden bis 1945 in Flossenbürg und seinen Außenlagern inhaftiert, ausgebeutet, ermordet. Nach der Befreiung am 23. April 1945 durch US-Truppen wurde das ehemalige Lager jahrzehntelang weitgehend ignoriert. Wohnhäuser entstanden auf dem Gelände, die Vergangenheit verschwand unter Fundamenten und Schweigen. Erst in den 1990er Jahren begann ein langsames Umdenken.

Gedenkstätte Flossenbürg

Sommertag

In der Hitze mussten die Gefangenen stundenlang stehen

Blüten der Hoffnung

Ein wenig buntes Leben

Blüten der Hoffnung

1995 wurde mit dem Aufbau einer Gedenkstätte begonnen – auf Drängen von Überlebenden, nicht aus lokalem Antrieb. 2007 eröffnete in der ehemaligen Wäscherei des Lagers die erste große Dauerausstellung „Konzentrationslager Flossenbürg 1938–1945“, 2010 folgte „Was bleibt“ zur Nachgeschichte des Ortes. 2015 wurde das Gelände umfassend neugestaltet, ein Bildungszentrum eröffnet. Heute ist Flossenbürg ein europäischer Erinnerungsort – entstanden gegen viele Widerstände, getragen von der Einsicht: Es gibt keinen Schlussstrich unter ein Verbrechen, das noch immer Fragen stellt.

Ausstellung in der Gedenkstätte Flossenbürg

Zahlen

mindestens 30.000 Menschen sind in Flossenbürg gestorben

Kampf ums Überleben

Dokumente und Zitate geben Einblick in den Lageralltag

Ausstellung in der Gedenkstätte Flossenbürg

Bonhoeffer als Symbol – und wie Erinnerung instrumentalisiert wird

Zwischen Kalenderblatt und politischer Vereinnahmung

In Flossenbürg hängt seit 2020 eine Gedenktafel – gestiftet von Donald Trump, enthüllt vom damaligen US-Botschafter. Eine Ironie, die einem das Lächeln gefrieren lässt. Ausgerechnet Bonhoeffer, der Kämpfer gegen autoritäre Systeme, wird von einem Rechtspopulisten geehrt, der selbst mit autokratischen Anwandlungen flirtete. Noch absurder: In den USA wird Bonhoeffer in evangelikalen Kreisen als Kronzeuge gegen Abtreibung, Homoehe, Multikulturalität herangezogen. Die AfD bemüht ihn für ihre eigene Opfermythologie. Da wird er plötzlich zum Schutzheiligen gegen „den Zeitgeist“, zum Maskottchen eines konservativen Kulturkampfs. „Man muss dem Rad in die Speichen fallen“, steht auf Facebook – darunter der Kommentar: „Genau wie wir heute gegen die Flüchtlingspolitik.“ Wer so spricht, versteht nichts. Weder von Bonhoeffer noch vom Rad.

Büste von Dietrich Bonhoeffer

Dietrich Bonhoeffer

„Man muss dem Rad in die Speichen fallen.“

Was bleibt?

„Wir lernen nicht – siehe AFD“, schreibt ein Besucher

Zettel: "wir lernen nicht – siehe AFD"

„Von guten Mächten…“

Hoffnung im Angesicht des Todes

Im Dezember 1944, in Gestapo-Haft, schreibt Dietrich Bonhoeffer ein Gedicht. Kein Aufruf, kein Trosttext für die Gemeinde, sondern ein persönlicher Weihnachtsgruß an seine Verlobte Maria von Wedemeyer. „Von guten Mächten treu und still umgeben…“ – so beginnt ein Text, der heute in Kalendern und auf Gesangbuchseiten zu finden ist. Doch wer nur den Klang hört und nicht die Herkunft kennt, hört nicht wirklich zu. Die Verse stammen aus einem Keller, geschrieben von einem Mann, der wusste, dass sein Leben bald enden würde – und der doch Worte fand, die nicht vergehen.

„Doch willst du uns noch einmal Freude schenken
an dieser Welt und ihrer Sonne Glanz,
dann wolln wir des Vergangenen gedenken,
und dann gehört dir unser Leben ganz.“

Dietrich Bonhoeffer

Keine Vertröstung. Keine Illusion. Sondern Hoffnung, die das Dunkel kennt – und trotzdem bestehen bleibt.

Ausstellung in der Gedenkstätte Flossenbürg

Portraits

Im Mittelpunkt der Ausstellung stehen die Menschen

Gefangen

Reste des Zauns im Wald

Zaunreste im Wald

Warum wir Orte wie Flossenbürg besuchen sollten

Gedenkstättenbesuche als Gegenwartsarbeit

Wir fuhren damals nicht hin, um Geschichte zu konsumieren. Wir fuhren, um zu verstehen. Was ein Mensch ertragen kann. Was ein System anrichten kann. Was Erinnerung leisten muss. Flossenbürg ist kein Ort der Schuldzuweisung. Es ist ein Ort der Klarheit.
80 Jahre seit Bonhoeffers Ermordung. 80 Jahre seit der Befreiung der Konzentrationslager durch die Alliierten. Diese Zahlen sind keine runden Jubiläen für Gedenkreden. Sie sind Mahnung.
Ein Besuch in Flossenbürg ist kein historischer Rückblick. Es ist eine Auseinandersetzung mit aktuellen Fragen: Wie begegnen wir Autoritarismus heute? Wie schützen wir Menschenrechte? 2025 ist das Jahr des Erinnerns. Nicht aus Nostalgie, sondern weil Erinnerung Haltung bedeutet – und Haltung nicht vergeht.

Außenanlage der Gedenkstätte Flossenbürg

Gedenken

Über die Erinnerung sollte kein Gras wachsen

Hoffnung

dass die Geschichte sich nicht wiederholt

Blumen und Beton

Informationen zur Gedenkstätte Flossenbürg

Adresse: Gedenkstätte Flossenbürg, Gedenkstättenstraße 1, 92696 Flossenbürg
Öffnungszeiten: täglich 9 – 17 Uhr
Eintritt: frei

Ausstellungen:

Konzentrationslager Flossenbürg 1938–1945

(in der ehemaligen Wäscherei)

Die Ausstellung »Konzentrationslager Flossenbürg 1938–1945« dokumentiert und erzählt die Geschichte des Konzentrationslagers Flossenbürg und seiner Außenlager. Im Zentrum stehen dabei die Menschen, die aus ganz Europa in den Lagerkomplex Flossenbürg verschleppt wurden.

was bleibt. Nachwirkungen des Konzentrationslagers Flossenbürg

(in der ehemaligen Lagerküche)

Mit der Ausstellung »was bleibt« wurde den komplexen Folgen der nationalsozialistischen Konzentrationslager zum ersten Mal eine eigene Schau gewidmet. Die widersprüchlichen Nachwirkungen des Konzentrationslagers Flossenbürg werden dabei in die Zeitgeschichte vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis heute eingebettet. So weist die Geschichte dieses Konzentrationslagers weit über Flossenbürg hinaus und steht stellvertretend für viele Orte. Die Ausstellung beschäftigt sich mit vier Leitthemen: dem Ort, der Erinnerung, den Überlebenden und den Tätern.

Aktuelle Wechselausstellungen

Website: www.gedenkstaette-flossenbuerg.de

Klappe in der grauen Wand
Heizungsrohre

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