Liebe Freundinnen von Welt,
sind wir nicht zu jung für einen so verstaubten Kurort? Das habe ich mich vor der auch gefragt. Doch dann fand ich im tschechischen Marienbad nicht nur heilsame Quellen und Erinnerungen an einen unglücklich verliebten Goethe, sondern auch architektonische Anmut und eine angenehm beschauliche Grandezza. Elegante Badehäuser schmücken das einst sumpfige Tal, durch die Parkanlagen spazierten die Mächtigen und Berühmten der alten Welt. Das Wasser der zahlreichen Quellen heilt noch immer, auch die gediegene Atmosphäre und die geschmückten Fassaden sind erhalten.
Marienbad (Mariánské Lázně ) gehört wie ihre Schwestern Karlsbad (Karlovy Vary) und Franzensbad (Františkovy Lázně) seit 2021 zum UNESCO Weltkulturerbe „Great Spa Towns of Europe“. Und ich bin beeindruckt von der Fülle an Charme & Geschichte. Kommt Ihr mit auf eine eigenwillige, aber sehr schöne Zeitreise?
Eure Kirsten, Freundin von Welt
Inhaltsverzeichnis
- 1. Heilsam nippen: Die Quellen
- 2. Glücklich und erfreulich: die Architektur
- 3. Stilvoll überdacht: Kolonnaden
- 4. Die „Singende Fontäne“
- 5. Das erste Haus am Platz: Hotel Nové Lázně
- 6. Westböhmisches Symphonieorchester
- 7. In bester Gesellschaft: Goethe, Kafka und andere prominente Persönlichkeiten
- Anreise
- Informationen
Meine 7 Tipps für Marienbad – von beschaulischer Grandezza, einem singenden Springbrunnen und prominenten Besuchern:
Marienbad, gerade mal 200 Jahre alt, ist die jüngste Stadt des Bäderdreiecks. Elegante Badehäuser schmücken das einst sumpfige Tal, durch die Parkanlagen spazierten die Mächtigen und Berühmten der alten Welt. Staatsmänner badeten, ein König wollte abnehmen, Goethe verliebte sich. Und Mark Twain lästerte ein wenig über die „Gesundheitsfabrik“.
Das Wasser der zahlreichen Quellen heilt noch immer, auch die gediegene Atmosphäre und die geschmückten Fassaden sind erhalten. So wird ein Besuch in Marienbad zu einer eigenwilligen, aber sehr schönen Zeitreise.
Spazieren und flanieren, baden und Wasser trinken: Marienbad ist ein Ort, an dem ich einfach sein kann. Ein wenig staunen, mich in der Zeit verlieren. Und zwischendurch einen Schluck aus dem Kurkännchen nippen. Aber Achtung: Nicht jede Quelle schmeckt …
1. Heilsam nippen: Die Quellen
Das sind die wahren Schätze. Ohne Quellen kein Marienbad. Das heilende Wasser ist Ursprung, Grundlage des ganzen Zaubers.
In der Stadt selbst entspringen 40 Quellen, in der nahen Umgebung rund 100. Aber nur sechs davon sind wichtig für den Heilungsprozess. Und geheilt werden kann damit so ziemlich alles, das bemerkte schon Mark Twain.
Der Amerikaner wollte keine Kur machen in Marienbad, er wollte sich nach eigenen Angaben „nur ein bisschen umschauen“. Was er sah, schrieb er auf und schickte es an die „Chicago Daily Tribune“. Dort erschienen am 7. Februar 1892 Twains launige Betrachtungen aus der „Gesundheitsfabrik“: „Sie versuchen alles zu heilen – Gicht, Rheuma, Magersucht, Fettleibigkeit, Verdauungsstörungen und den ganzen Rest.“
Die Existenz der Heilquellen in dem einst unzugänglichen, sumpfigen Tal ist schon lange bekannt. Ende des 18. Jahrhunderts studierte Dr. Nehr, Arzt aus dem Kloster Tepla, die Wirkung des Wassers.
Ich mache einen Spaziergang durch Marienbad, 7500 Schritte sind es durch den Kurpark vom einen bis zum anderen Ende. Mein Ziel ist die Ferdinandsquelle mit ihrer schlichten Kolonnade und einem Sprudel, der unter Glas blubbert. Danach gehe ich zurück zur Kreuzquelle.
Ich probiere sie alle. Von manchen aber nur ganz wenig. Und oft schüttelt es mich. Bei der Kreuzquelle nehme ich nur einen winzigen Schluck, den ich am liebsten sofort wieder ausgespuckt hätte. Das war in dem schicken Pavillon aber nicht möglich. Mit der Kreuzquelle sollte man eh vorsichtig sein, das Wasser wirkt stark abführend.
Marienbad bemüht sich jetzt auch um die Anerkennung als Luftkurort, dann, so verrät mir der Bürgermeister, hätten sie alle vier Naturheilquellen beisammen: Wasser, Gas, Peloide (das ist Moor) – und eben Luft. Das sei so ziemlich einzigartig in Europa.
2. Glücklich und erfreulich: die Architektur
Marienbad war ein sumpfiges Tal. Und begann als Park: Der einflussreiche Abt Karl Kaspar Reitenberger engagierte den genialen Gartenarchitekten Vaclav Skalnik. Skalnik formte aus der Wildnis einen langgezogenen Park. Die Grünanlage ist immer noch das Herz von Marienbad.Von 1817 bis 1823 bauten die Architekten Georg Fischer und Anton Turner Kurgebäude. Das ging ganz fix, wie auch Goethe bemerkte.
Hotelpaläste kamen dazu, reich geschmückte Fassaden in appetitlichen Pastellfarben, verziert mit Erkern und Türmchen. Kriege und Sozialismus haben das kompakte historische Stadtbild kaum verändert. Die meisten der schmucken Bauten sehen auch heute noch aus, als kämen sie frisch aus der Konditorei.
3. Stilvoll überdacht: Kolonnaden
Die großen Attraktionen Marienbads bilden ein eigenwillig charmantes Ensemble, dessen Herz und Prachtstück die 180 Meter lange gusseiserne Hauptkolonnade „Maxim Gorki“ ist. Die im Neobarockstil errichtete Kolonnade wäre im vorigen Jahrhundert fast weggerostet. 1974 musste sie geschlossen und saniert werden. Dabei wurden auch gleich die Deckenfresken gemalt – inklusive Kosmonauten.
Die Hauptkolonnade ist der Star, daneben der Pavillon der Kreuzquelle und die Kolonnade der Karolinaquelle. Im unteren Teil der Stadt steht die Kolonnade der Ferdinandquelle.
4. Die „Singende Fontäne“
Direkt neben der Hauptkolonnade spielt sich die „Singende Fontäne“ auf, eine Brunnenanlage aus den 1980er Jahren, die zu jeder ungeraden Stunde eine choreographierte Musik-Wasser-Show bietet – und abends mit Beleuchtung. Dieses Relikt aus dem Sozialismus zieht ungefähr alle Gäste des Ortes an. Dort treffe ich um 21 Uhr Ilona und Harald Winter („Winter wie Sommer“), die dieses Farb-Licht-Wasser-Klang-Schauspiel an keinem Abend ihres Aufenthalts verpasst haben. Ilona hat das Spektakel auf ihrem Handy dokumentiert, sie zeigt mir die Videoclips der letzten fünf Aufführungen, ich bin also ziemlich gut im Bilde, was mich erwartet. Die Show mit Andrea Boticellis „Time to say goodbye“ gefiel den Winters am besten. Aber heute Abend gibt es Tosselli, auch gut.
Gemeinsam sehen wir, wie über 250 Düsen kunstvoll Wasser bis zu sechs Meter hoch speien, in wechselnden Farben beleuchtet, während dazu genau darauf abgestimmt Musik aus dem Lautsprecher läuft. Danach wird applaudiert. Ein erstaunliches Phänomen.
Die Wasserspiele laufen seit April 1986, täglich ab 7 Uhr zu jeder ungeraden Stunde und um 21 und 22 Uhr mit bunten Lichteffekten.
5. Das erste Haus am Platz: Hotel Nové Lázně
Das Kurhotel ist die erste Adresse im Ort. Es bezaubert mit plüschiger, gediegener Atmosphäre, Wellness-Perlen wie dem Römischen Bad und der Royal Cabin (dazu gleich mehr) und, das ist wirklich faszinierend, langen, sehr langen Gängen, von denen unzählige Türen abgehen. Über diese Gänge flanieren, ganz leise, Gestalten in Bademänteln. Und hinter den Türen verbergen sich Schätze wie das Römische Bad oder die Royal Cabin. Diese private Spa-Suite, 1896 für den britischen König Edward VII. gebaut, ist prunkvoll im Neorenaissancestil dekoriert, mit prächtigen Kacheln, persischen Teppichen und aufwendigen Seidentapeten. Alles ist erhalten, von der königlichen Badewanne bis zum Wiege-Sessel, eine Sonderanfertigung für den König, der gerne abnehmen wollte. Der Raum lässt sich auch heute noch für Anwendungen buchen.
Und Anwendungen gibt es hier reichlich, der Kurarzt Dr. Knara zählt sie auf. Ich weiß nicht, ob ich mich an alle erinnern kann: Es gibt Mineralwasserbäder, aber auch trockene Gas-Sitzbäder und sogar Gasbäder in Plastiksäcken. Und noch viel mehr. Hauptsache, es regt die Durchblutung an. Das Haus hat sogar eigene Quellen. Die Ambrosiusquelle sprudelt hier, sie war schon bei Goethe sehr beliebt. „Und der bekam mit über 70 so viel „Kraft“, dass er sich in eine 17jährige verliebte“, verrät Dr. Knara. Seither gilt die Ambrosiusquelle als „Liebesquelle“.
Ich probiere das Mineralwasserbad. Das kitzelt und britzelt, tausende kleine Bläschen steigen hinauf und überziehen meine Haut mit einem glitzernden Perlenanzug. So, stelle ich mir vor, muss es sein, in Champagner zur baden. Nur dass Champagner vermutlich kälter ist. Und wahrscheinlich nicht so gesund. Ich liege in der Wanne, betrachte die glitzernden kleinen Kügelchen auf meiner Haut und fühle mich kostbar. Danach riecht meine Haut noch lange irgendwie rostig.
Die Hoteldirektorin zeigt mir den Komplex, ein gigantischer Karnickelbau, nein, eigentlich sind es mehrere Hotels – und ehemalige Kurmittelhäuser – die durch Gänge verbunden sind. So können die Gäste aus dem Nove Lazne trockenen Fußes ins Konzert oder ins Casino gehen.
Info: ensanahotels.com/nove-lazne
6. Westböhmisches Symphonieorchester
Bei der Besichtigung höre ich hinter einem Vorhang Musik erklingen: Da probt das Westböhmische Symphonieorchester. Das 1821 gegründete Ensemble ist das älteste Symphonieorchester der Tschechischen Republik und eine wichtige kulturelle Säule der Stadt. Während der Sommerkursaison gibt es regelmäßig Konzerte in der Kolonnade.
Info: zso.cz/de
7. In bester Gesellschaft: Goethe, Kafka und andere prominente Persönlichkeiten
Die Gästeliste Marienbads macht richtig Eindruck. Im 19. und 20. Jahrhundert war der Kurort ein wahrer Hotspot, ein Zentrum des gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Lebens. Drei Herren waren besonders gerne hier: Englands König Edward VII., Johann Wolfgang von Goethe und der Komponist Fryderyk Chopin.
In Bronze gegossen steht Englands König Edward VII. im Kurpark neben Österreichs Kaiser Franz Josef I – die beiden trafen sich hier im August 1904. Insgesamt neun Mal war der britische Monarch in Marienbad, im zu Ehren wurde eine private Spa-Suite, die „Royal Cabin“ gebaut. Er eröffnete 1905 einen Golfplatz, den ältesten Böhmens.
1821 bis 1823 verbrachte Goethe die Sommer hauptsächlich in Marienbad, das damals noch ein junger, aufstrebender Badeort war. Er war begeistert, verglich das schnelle Wachstum mit amerikanischen Städten. Goethe verliebte sich in Marienbad. Also: Nicht in die Stadt, sondern in die 17jährige Ulrike von Levetzow. Und das mit über 70! Die Reiseleiterin deutet an, er könnte vielleicht „auch etwas mit der Mutti oder der Omi gehabt haben, aber man weiß nicht so genau“. Goethes Angebetete lehnte seinen Antrag ab, sie sagte später, sie hätte einfach keine Lust gehabt zu heiraten. Sie wurde 95 Jahre alt – und blieb Zeit ihres Lebens unverheiratet.
Auch der polnische Musikkomponist und Klaviervirtuosen Fryderyk Chopin besuchte Marienbad nicht nur wegen der Quellen. Er interessierte sich für Maria Wodzinska, aber deren Eltern beendeten diese Beziehung, weil sie Chopin zwar für einen netten, aber mittellosen jungen Mann hielten. Der Sommer 1836 in Marienbad war kalt und regnerisch und brachte Chopin nur wenig Glück. Doch die Stadt hält ihren Gast in Ehren: Jedes Jahr im August findet in Marienbad das größte und wichtigste Chopin-Festival in Europa statt.
Extra Restaurant-Tipp: Gourmet Hotel Villa Patriot
Anreise
Ich bin mit der Bahn gefahren. Das dauert ab Hamburg ca. 8 Stunden, ab Berlin ca. 6 Stunden und ab München nur etwa 4 Stunden. Der Bahnhof ist etwa 2 Kilometer von der Innenstadt entfernt. Marienbad liegt am „Internationalen Eisenbahnkorridor“ Nürnberg – Eger – Pilsen – Prag. Und ganz praktisch (für uns) knapp hinter der Grenze.
Informationen
Tschechische Zentrale für Tourismus – CzechTourism, visitczechrepublic.com
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