Der Fisch, den keiner kriegt: Der Stuhlmann-Brunnen in Hamburg-Altona
Liebe Freundinnen von Welt,
manche Rivalitäten vergehen mit der Zeit. Andere verwandeln sich in Kunst.
Zwei Zentauren in angespannter Bronze, dazwischen ein Fisch, der nichts sagt und doch alles bedeutet. Ein Denkmal für Lokalstolz, Künstlerkräche und eine Nachbarschaftsfehde mit norddeutscher Grandezza.
Ich habe mir den Stuhlmann-Brunnen angeschaut, der gerade kein Wasser führt, aber dafür umso mehr Geschichte(n). Kommt mit auf einen Spaziergang zu einem Denkmal, das trocken liegt – und doch Wellen schlägt.
Eure Kirsten, Freundin von Welt

Stillleben
mit Lokalpatriotismus in Altona
Streitkultur
in Bronze gegossen von Paul Türpe

Ein Spaziergang zum Stuhlmann-Brunnen: Wo Zentauren um Fisch kämpfen
Neulich in Altona. Ich schlendere über den Platz der Republik zwischen Rathaus und Bahnhof, begleitet von der Nachmittagssonne und meinem eigenen Hang zur Sentimentalität. Da fällt mein Blick auf diese wilde Szene: Zwei Zentauren – halb Mensch, halb Pferd, ganz Drama – rangeln um einen riesigen Fisch. Um sie herum Nereiden, Echsen und Tritonen, die erbost Wasser auf das Getümmel spucken würden, wenn… ja, wenn sie könnten. Der Brunnen ist trocken. Aber das macht ihn nicht weniger sehenswert.

Echse
mit Beobachtungsauftrag
Kaltblütiger Komparse
im Zentaurendrama

Der Stuhlmann-Brunnen und sein großzügiger Stifter
Hinter dem Schauspiel steckt ein Mann namens Günther Ludwig Stuhlmann. Gas- und Wasserpionier, Altonaer Lokalheld mit Hang zur Großzügigkeit. 75.000 Mark vermachte er seiner Vaterstadt – mit der Auflage, einen Turm, ein Leichenhaus (why not), einen Garten und einen Brunnen zu bauen. Alles erledigt. Auch wenn der Brunnen ein paar Ehrenrunden drehen musste, bis er 1900 dann tatsächlich mit einem feierlichen „Platsch“ vor dem alten Bahnhof eröffnet wurde.
Paul Türpe und die Plagiatsgeschichte rund um den Brunnen
Paul Türpes Entwurf „Kampf“ gewann den Wettbewerb für die Brunnenanlage – gegen namhafte Konkurrenz. Ein Sieg mit Nachgeschmack, denn der Hamburger Bildhauer Wandschneider sah in Türpes Werk eine dreiste Kopie seines eigenen „Centaurenbrunnens“. Die Geschichte geht so: Wandschneider soll vom Preisrichter den Tipp bekommen haben, in Altona nochmal vorzusprechen – wurde aber vom Oberbürgermeister charmant abgewimmelt. Der entschied sich lieber für den Berliner Türpe – wohl auch, weil der den Brunnen deutlich günstiger kalkulierte. Was später natürlich nicht stimmte. Aber immerhin: Aus der künstlerischen Kontroverse entstand ein Denkmal, das bis heute Wellen schlägt – wenn auch momentan nur metaphorisch.

Zentaurendrama
mit Fisch in der Mitte
Der Fisch
hatte sich das anders vorgestellt

Symbolträchtig: Der Brunnen als Allegorie von Altona gegen Hamburg
Die Szene im Zentrum: zwei Zentauren, die sich um einen Fisch prügeln wie Kinder um das letzte Fischstäbchen. Allegorie, natürlich. Altona gegen Hamburg – wer kriegt den Fang, wer beherrscht die Fischindustrie? Um 1900 hatte Altona die Nase vorn, europaweit führend in Anlandung, Verarbeitung und Versand. Und der größere Zentaur? Altona, logisch. Der kleinere? Hamburg – etwas zickig, aber immerhin ambitioniert.
Und der Fisch? Der guckt, als hätte er sich das auch anders vorgestellt.
Die ewige Rivalität: Altona vs. Hamburg
Hamburg und Altona – das war lange keine Liebesgeschichte.
Eher eine Art Nachbarschaftskrimi mit wirtschaftspolitischem Unterton. Altona, einst dänisch, später preußisch, machte dem hanseatischen Schwergewicht Hamburg über Jahrhunderte das Leben schwer – oder zumindest interessanter. Man zankte sich um Fischfangrechte, Handelsvorteile, Münzprägung und Marktordnung. Selbst der Name „Altona“ soll, so eine Legende, aus Hamburger Empörung stammen: „All to nah“ – also viel zu nah dran. Dass Altona später nicht nur die bessere Hafenlage, sondern auch liberalere Gesetze und günstigere Bierpreise hatte, machte die Sache für Hamburg nicht leichter.
Und der Brunnen? Der trägt dieses alte Kräftemessen als Kunstwerk zur Schau – ganz ohne Worte, aber mit Zentauren.
Vom Kaiserplatz zum Platz der Republik: Der Brunnen auf Reisen
Dreimal ist er umgezogen, der Stuhlmann-Brunnen. Vom Kaiserplatz halb versteckt in die Senke, die zur S-Bahn führt und zurück ins Licht – heute steht er wieder dort, wo er gesehen wird. Oder sagen wir: bewundert wird. Denn zurzeit sprudelt er nicht. Die Technik ist marode, das Budget knapp, das Wasser abgestellt. Nur manchmal zur Altonale wird er manuell befüllt – ein bisschen wie bei Omas Waschmaschine aus den 50ern: mit Liebe, aber ohne Komfort.
Zwischendurch war er völlig marode und musste dringend saniert werden. Während der Senat sich taub stellte, spendete unter anderem die Holsten-Brauerei – gegen das Recht, das Rathaus in eine riesige Werbefläche zu verwandeln. Lokalpatriotismus mit Hopfenaroma. Das brachte dem Brunnen auch einen neuen Spitznamen ein: „Fielmann-Brunnen“. Der Senat hat keinen Pfennig dazubezahlt. Fielmann allerdings auch nicht.
Ein bisschen Mythos, ein bisschen Märchen
Wer Lust hat, kann bei einer Führung sogar in den Brunnen hineinsteigen. Eine Klappe im Boden öffnet den Weg in ein unterirdisches Technik-Wunderland – modrig, kühl, und mitunter etwas spritzig. „Fisch Nord-West“ steht auf einem Rohr. Und über einem: Kupfer, Geschichte, Wassersehnsucht.
Und dann ist da noch die Dame mit dem Po – das ist tatsächlich die Nereide. Eine Meeresnymphe aus der griechischen Mythologie, Tochter des Nereus, zuständig für Schiffsglück, Meeresbrise und mythologische Anmut. Im Stuhlmannbrunnen sitzt sie mit klassischer Gelassenheit am Beckenrand und speit Wasser auf die beiden rangelnden Zentauren – oder würde es tun, wenn denn Wasser flösse.
Ihr gegenüber: Triton. Halbgott, Sohn von Poseidon, mit Fischschwanz und Muschelhorn. In der Darstellung des Brunnens bläst er dramatisch in sein Schneckenhorn – ursprünglich wohl gedacht, um Ordnung in dieses aquatische Chaos zu bringen. Beide Figuren – Nereide und Triton – rahmen das Hauptmotiv kunstvoll ein und zeigen: Auch in der Welt der Fabelwesen braucht es Sidekicks mit Haltung.


Ein schöner Rücken
kann auch entzücken: Meeresnymphe in Wartestellung
Bläst mit Bravour & Busen
Nicht ganz eindeutig: Triton? Nereide?

Warum sich ein Besuch beim Stuhlmann-Brunnen lohnt
Auch ohne Wasser ist der Stuhlmann-Brunnen ein Erlebnis. Ein Denkmal mit Haltung – im wahrsten Sinne. Er steht da wie ein stiller Zeuge aus Kupfer und erzählt Geschichten von Lokalstolz, städtischem Wettbewerb und der Kunst, auch im Trockenen Würde zu bewahren. Vielleicht ist genau das seine heimliche Pointe: Zwei Zentauren kämpfen mit aller Kraft um einen Fisch, den keiner bekommt. Und doch wirkt es, als ginge es um alles.
P.S.: Wenn Du Brunnen genauso gerne magst wie ich, sieh Dir meinen Beitrag über den Hygieia-Brunnen im Innenhof des Hamburger Rathauses an.


Brunnenkunst
mit Nebenkosten – jetzt trocken
Altona als Zentaur
stolz wie eh und je

Auf dem Platz der Republik in Altona, zwischen Bahnhof und Rathaus.
Zwei Zentauren kämpfen um einen großen Fisch – eine Allegorie auf den historischen Wettbewerb zwischen Hamburg und Altona um wirtschaftliche Vorherrschaft, insbesondere im Fischhandel.
Im Jahr 1900, nach mehreren Verzögerungen und einem hitzigen Künstlerwettbewerb.
Rund 10 Meter – mit den Zentauren auf dem Sockel ein durchaus imposantes Ensemble.
Beim Stadtteilarchiv Altona.
Zur Altonale, zum Beispiel beim großen Trödelmarkt am 5. und 6. Juli 2025.
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